Slan abhaile,¹ Ulick …

Im September 1982 sass ich abends in Regensburg vor der Jugendherberge, als mich jemand auf Englisch fragte, wo denn hier die Jugendherberge wäre … Ich zeigte hinter mich und erklärte ihm „You’re in front of it!“ Er bedankte sich und ging zur Anmeldung.

Später trafen wir uns wieder, da wir im gleichen Schlafsaal untergebracht waren. Damals gab es noch Schlafräume mit acht, zehn oder noch mehr Betten in deutschen Jugendherbergen und wildfremde Wanderer und „Backpacker“ wurden gemeinsam in ein Zimmer gelegt. Man traf Leute „aus aller Herren Länder“, tauschte Tipps über Sehenswürdigkeiten und preiswerte Verpflegungsmöglichkeiten aus und  schloss (Brief-) Freundschaften, die oft über Jahre hielten. Oder, wie in diesem Fall, ein Leben lang …

Wir kamen schnell ins Gespräch. Mein neuer Zimmerkamerad war Ire,  hiess Ulick (die irische Variante von „Wilhelm“), kam aus Killiney in der Nähe von Dublin, war – so wie ich – auf „Deutschland-Tour“ und als „guter Ire“ tief in der römisch-katholischen Kirche verwurzelt – was ich damals, als frisch bekehrter „Evangelikaler“ überhaupt nicht verstehen konnte …

Wir erkundeten einige Tage gemeinsam Süddeutschland, bevor sich unsere Wege trennten – nicht, ohne unsere Adressen auszutauschen. Es begann ein reger Briefverkehr. 1985 kam Ulick zum „Rhein in Flammen“ in Koblenz nach Deutschland. Auf dem Weg dorthin besuchten wir die  Brücke von Remagen und das dort untergebrachte „Friedensmuseum“. Für Ulick als Student mit Schwerpunkt „Militär- und Kriegsgeschichte“ mehr als interessant. Ach ja, und wir weihten gemeinsam meine neue Wohnung in Porz ein (09. August  1985).

1989 war Ulick nochmals auf Stippvisite hier  und 1992 machte ich dann – mit meiner damaligen Verlobten und späteren ersten Ehefrau – den längst überfälligen Gegenbesuch in Irland: Vor einer geführten zwei-Wochen-Rundreise auf der „Grünen Insel“ verbrachten wir eine Woche in Killiney bei Ulicks Eltern. Er hatte sein Studium zwischenzeitlich beendet, arbeitete als Lehrer auf den Kanarischen Inseln und hatte dort mit Conchi die Liebe seines Lebens gefunden.

2012 in Lüneburg
2012 in Lüneburg

Wir haben uns immer wieder mal gegenseitig besucht, alleine oder mit Frau und heranwachsenden Kindern. Bis wir E-Mails als Kommunikationsmittel einsetzten, verging noch einige Zeit, denn Ulick hatte – wenn ich mich recht entsinne – noch nach dem Jahr 2000 einen PC mit Windows 3.1,  dafür ohne Internet-Anschluss.  Irgendwann erreichten Facebook und WhatsApp auch die Kanarischen Inseln und somit auch Ulick  😉

Da wir uns schon längere Zeit nicht mehr gesehen hatten, schlug ich  Ulick irgendwann vor, den vierzigsten Jahrestag unseres Treffens in Regensburg zu feiern – und erhielt von ihm die Antwort, dass er keine feste Zusage machen könne, da er im Moment krankheitsbedingt in seiner Mobilität sehr eingeschränkt wäre.

Dennoch strahlten seine WhatsApp-Mitteilungen fast immer Fröhlichkeit und Zuversicht aus – auch, wenn sich sein Zustand nicht besserte. Das Gegenteil  war leider der Fall. Ich denke, sein unerschütterlicher christlicher Glaube hat ihm die Kraft gegeben, die Schmerzen und den zum Schluss immer schnelleren körperlichen Verfall zu (er-) tragen.

Am Abend des 1. Januar kam dann eine Nachricht von Conchi, mit der ich in den letzten Wochen jeden Tag gerechnet habe:

„Ulick passed away peacefully this afternoon at 3 pm“

Ich habe geflennt – und ich schäme mich der Tränen nicht. Ich habe einen Freund verloren, wie man ihn wohl nur einmal im Leben findet …

Seine Briefe und E-Mails haben mir oft genug  in schwierigen Situtationen Trost und Kraft gegeben. Einmal abgesehen davon, dass er in mir die Liebe zur „Grünen Insel“ und mein Interesse an der irischen Kultur, Sprache  und Geschichte geweckt hat. Mit der Einladung auf die Kanaren hat es leider ebenso wenig geklappt wie der geplante Besuch der NS-Ordensburg Vogelsang und der Schlachtfelder von Hürtgenwald in der Eifel.

Im Lauf der Jahre hatte Ulick auch etwas Deutsch gelernt und es klang immer ein wenig lustig, wenn er Gegebenheiten mit seinem langgezogenen „Waruuuum?“ hinterfragte – eine Frage, die wir  nie mehr hören werden.

Ulick, es war mir eine Ehre, dein Freund sein zu dürfen. Beinahe vierzig Jahre lang, zwei Drittel meines bisherigen Lebens … Jetzt bleibt mir nur  zu sagen

„Go raibh maith agat as do chairdeas!“²

Detlef

¹ „Auf Wiedersehen, Ulick“ auf Irisch
² „Danke für deine Freundschaft!“ auf Irisch

Das ist mir ja auch passiert …

oder: Noch eine Mutmacherin

Nadja Boddin ist 36 Jahre alt, als sie kurz vor Weihnachten 2003 eine Gehirnblutung hat. Mehrere Wochen ringt sie mit dem Tod.  Sie gewinnt den Kampf, muss jedoch zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie nicht mehr Lesen und Schreiben kann! Und auch einfachste Rechenaufgaben wie 2 + 2 = gelingen ihr nicht mehr – eine Katastrophe für die Bankangestellte!

Doch Nadja gibt nicht auf!  Trotz der immer wieder aufkommenden Frage „Warum ich?“ unterzieht sie sich zahlreichen Therapien, unterstützt von ihrem Freund und späteren Ehemann, Adelbert von Deyen,  Langsam, ganz langsam lernt sie wieder die Buchstaben des Alphabets, ist wieder in der Lage, zu rechnen.

Gleichzeitig lernt sie immer wieder Menschen kennen, die ebenfalls eine Gehirnblutung hatten – viele von ihnen wurden durch diesen Schicksalsschlag zum Pflegefall!

Ihren langen Weg zurück ins Leben, in die grösstmögliche Normalität hat Nadja in  ihrem Buch „Das ist mir ja noch nie passiert“ festgehalten. Dort beschreibt sie auch, wie sie  zu dem Punkt kam, an dem sie akzeptieren konnte, dass sie nicht mehr als Bankangestellte arbeiten würde.

Ziemlich zu Anfang ihres Buches schreibt Nadja „Wer nie eine Gehirnblutung hatte, … kann sich keinen Begriff davon machen.“. Auch ich hatte – einige meiner Freunde wissen das – im Januar 1986 eine Gehirnblutung.  Und ich hatte mehr als eine Riesenportion Glück, dass praktisch keinerlei Einschränkungen zurück geblieben sind. Aber aufgrund meiner eigenen Erfahrungen  kann ich ein Stück weit nachvollziehen, wie  hilflos sich Nadja gefühlt hat, wie die Angst vor einer ungewissen Zukunft lähmt und Zweifel am Sinn und Nutzen von Reha-Massnahmen aufkommen lässt.

Umso dankbarer bin ich Nadja, dass sie all diese sehr persönlichen Gefühle in ihrem Buch mit dem Leser teilt und ihm so Mut machen will – egal, ob Betroffener, Angehöriger oder einfach nur Neugieriger.

„Das ist mir ja noch nie passiert“ kann zum Preis von 16,50 Euro (einschl. Versand) direkt bei der Autorin bestellt werden: nadja@nadja-boddin.de .  Unter www.nadja-boddin.de sind einige Leseproben veröffentlicht.

Detlef

Die Homepage von Nadja: www.nadja-boddin.de

Willkommen im „Club“, Markus …

Eigentlich wollte ich nicht schon wieder etwas darüber schreiben – aber dann erfuhr ich letztes Wochenende, dass Markus Maria Profitlich ebenfalls an Parkinson erkrankt ist (hier geht es zum ausführlichen Interview im Kölner Stadt-Anzeiger).

Spontan fiel mir dazu „Willkommen im Club!“ ein. Und das ist jetzt keineswegs sarkastisch oder böse gemeint! Ich finde es sehr gut, dass „MMP“ offen mit der Krankheit umgehen, mögliches Zittern nicht verstecken will. Durch seine Bekanntheit wird Parkinson womöglich auch bei Mitmenschen zum Gesprächsthema werden, die ansonsten daran Erkrankte vorschnell als „behindert“ abstempeln oder gar meinen, Parkinson wäre die Folge von Alkohol- oder (sonstigem) Drogenmissbrauch …

Und natürlich wünsche ich Markus, dass er noch lange in der Lage ist, auf der Bühne zu stehen und zum und sein Publikum zum Lachen zu bringen. Und auch ihm selber möge das Lachen nie vergehen, getreu dem Spruch „Zittere nicht vor Parkinson!“

Detlef